Montag, 1. September 2008
Jedem sein Disco-Fiasco
Manchmal will man ganz einfache Dinge. Und erhält anstatt dessen einen Grundkurs in den Abgründen menschlicher Missverständnisfähigkeit. Das Einfache kompliziert zu machen - menschlicher geht es kaum. Es ist eine Kunst, in der Murphy eine große Rolle zu spielen scheint. Nur ist Chaosmäzenat obsolet, wo menschliche Interaktion stattfindet. DAS können wir ganz allein. Ohne uns anzustrengen.
Gottfried stört sich daran nicht. Er hat eine klare Vorstellung von der Denkfähigkeit und sonstigen Funktionalität der Frau. Wenn es kompliziert wird, ist also grundsätzlich die Frau schuld. Zur Selbstanalyse ist Gottfried nur in lyrischer Form fähig, nur wenn er jemand dafür verantwortlich machen kann, dass er als Mensch im Allgemeinen und Gottfried Benn im Besonderen so schlecht funktioniert. Das Bewusstsein für Suboptimalität im eigenen Handeln lebt er möglicherweise bei Neumond und mit verrammelten Fenstern in seinem anzugverseuchten Kleiderschrank aus. Mit einem Pulli über dem Kopf. Aber offen affirmieren würde er diese Möglichkeit nie. Und begreifen, dass es ja gar nicht um Schuld geht, auch nicht. Etwas hat nicht geklappt, also muss jemand schuld sein, ganz klar. Wut ist da, also braucht sie ein Objekt. Womit wir fast schon beim Kernthema der Komplexitätserzeugung wären.
Wie gesagt will man etwas ganz Einfaches. Und steht am Ende des Tages mit einer verfahrenen Situation da. Erinnert sich später nur noch an eines: Meine Güte, war das kompliziert. Wenn ich Komplexität will, nehme ich mein Matheskript zur Hand. Sudoku soll auch ganz gut sein. Oder eine Riesenschublade voller Handyladegeräte mit fröhlich fraternisierenden Kabeln. Wo aber der Mensch fraternisiert, bleibt nichts einfach. Es gibt allerlei raue Schnittstellenprobleme. Wie eine Art Stille-Post mit zwei Spielern, die sich gleichzeitig gegenseitig auf 50 Kanälen in schlechter Qualität zufunken. Hohe Fehlerrate. Geringe Fehlertoleranz. Manche greifen da freiwillig zum Matheskript. Das hält erstaunlich erfolgreich fraternisierungswillige Mitmenschen fern.
Gute Idee. Ich fahre den Rechner hoch. Bei Amazon gibts bestimmt tolle Bildbände über neue Hautkrankheiten - seit 1956 gibt es viel nachzulernen. Na dann...

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Dienstag, 8. Juli 2008
Ein Röstbrot
Heute möchte ich im Rahmen der allgemeinen Weltverbesserung mein Martiniglas auf einen Menschen erheben, ohne den mein Leben unvollständig gewesen wäre:

Mich.

Prost.

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Freitag, 20. Juni 2008
Terminalzelle
Ich würde ja heute gerne etwas über die Komplexität langer Sätze schreiben. Nur ist mir heute gar nicht so nach langen Sätzen. Gar. Nicht. Ich will lieber die Lieder senken, die Stirn kraus ziehen und mit linksseitig herabgelassenem Mundwinkel etwas Weisswein hochrülpsen. Aber habe ich das leider niemals gelernt, andere üben ja in der Kindheit mit Hingabe. Das habe ich völlig versäumt. Angeblich muss man Luft schlucken und dann wieder hochdrücken. Mit der dezidierten Ansteuerung meiner Speiseröhrenmuskulatur habe ich es aber nicht so, da die erwachsene Speiseröhre sich nicht gerne untrainiert ansteuern lässt. Nur die kindliche Speiseröhrenmuskulatur scheint solchem Training zugänglich.
Gottfried kann es auch nicht. Er sagt, er findet es unzivilisiert, aber ich vermute, dass er genau wie ich schlichtweg das Üben verpasst hat. Gehört sich ja auch nicht, in so einem protestantischen Pastorenhaushalt. Dafür kann er - genau: Windeln wechseln. Krasse Jeschischte. Hat ja auch viel mit Kontrolle zu tun.
Wir sitzen uns gegenüber und versuchen möglichst lange Sätze zu produzieren. Das scheitert daran, dass wir zwar beide gut bandwurmen können, der Sinn sich aber meistens ab dem zweiten Nebensatz aus dem Staub macht. Schließlich kann sich nicht jeder mit einem zweigeschlechtlichen Darmparasiten identifizieren, auch wenn er dann aus als Proglottiden genannten Körperabschnitten bestünde. Und seine Exkremente über eine Terminalzelle abscheiden könnte. Es ist einfach unangenehm, wenn man die Begrifflichkeiten, die der eigenen Physis gewidment sind, weder hören, denken und schon gar nicht aussprechen kann. Wer Vorverdautes zu sich nimmt, braucht schließlich keine Zunge und muss nicht nach Futter schreien. Gottfried und ich sind einfach noch nicht genervt genug. Noch kommen die Sätze aus dem vorderen Stirnlappen, kommen sollten sie aber eigentlich über die Wirbelsäule und das Kleinhirn durch die Augen, von da auf die weiße Wand und von dort - über Bande sozusagen - über die Augen zurück zu den Händen mit kurzem Umweg über die Zunge. Die ist besonders bei den Satzzeichen stark involviert, mit Unterstützung durch Lippen und Zähne. Bei mir die Schneidezähne im Unterkiefer, bei Gottfried die rechten Backenzähne. Virtuos spiele ich auf dem Schneidezahnklavier ein paar Kommata in einen Satz.
Ach was solls. Ich geh jetzt ins Bett. Proglottiden.

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