Montag, 25. Juni 2007
Kiss the DJ-Tour 2006
Vorhin war es noch Spinat. Aber wie es jetzt aus mir heraus quillt, ein kurzer druckvoller Bröckchenstrom, sieht es aus wie Rotkohl. Dünne Spinatblätter wellen sich auf und schweben wie rote Algen im Cola-Rotweinmeer. Träge kreisen sie im Waschbecken, haben den Abfluß fast verstopft. Auf den Rand des Waschbeckens gestützt verfolgte ich die Kreisbewegung. Ich weiß nicht, was zuerst war, das Rundherum in Kopf und Magen oder der Waschbecken 2-D-Strudel. Wer hat wen zum Kreisen gebracht?
Gottfried kommt ins Bad, klappt den Klodeckel zu und setzt sich hin. Aus einem Täschchen packt er eine Spritze, eine Ampulle, Watte und Desinfektionsmittel aus, räumt mit dem linken Arm die Hälfte der auf der Waschmaschine liegenden Durcheinanders ab. Großartige Aussichten, all das hinter der Waschmaschine wieder vorholen zu dürfen. Sorgfältig zieht er die Flüssigkeit aus der Ampulle in die Spritze. Morphium.
"Hör mal Gottfried ", sage ich und erschrecke über meine gebrochen tiefe Stimme, "bevor Du hier Deinen Morphiumschoppen fertig baust, ich habe gesagt ich will keine Drogen hier in der Wohnung!"
Verätzte Stimmbänder, die Verbindung zwischen Hirn und Kehle voller Störsignale.
"Ach?!", sagt er nur, ohne mich anzusehen. Ich drehe mich wieder dem Waschbecken zu und versuche den Rotkohl mit dem Finger durch den Abfluß zu drücken.
"Jetzt rühr nicht auch noch drin herum!", höre ich von hinten.
Gottfried seufzt. Dann wird es still. Ich betrachte das Kreisen.

Das Waschbecken wird rund und wieder oval, wird nach unten lang und schmal in Trichterform gesaugt und schnappt nach oben zurück. Die rote Oberfläche besteht und schaukelt nur leicht, wo mein Finger gerade eingetaucht ist. Meine Arme werden lang, gummilang, als das Waschbecken nach oben auswächst, ich versuche mich zu halten, es strebt zur Decke, meine Finger klammern und ziehen die Arme mit. Aber die Arme halten nur bis zur Oberkante des Badfensters aus, dehnen sich bis kurz vor dem Reißen, die Finger krallen sich ein, ich will hoch, hoch auf den Badewannenrand, um Länge zu gewinnen, aber meine Knie wollen nach unten, wollen zu Boden, Zack macht es und die Finger lassen los und die losgelassene Zugkraft rammt mich in den Boden.
Ich erwache im Angesicht des Wäschekorbes. Daneben der Badmülleimer. Kein schöner Anblick. Die Fliese direkt vor meinem Auge grenzt an die Badewanne und blüht in schwarzem Schimmel hinüber zur Nachbarfliese. Die Schwere hat sich von meinem Magen in den Kopf verlagert. Teils nur, stelle ich fest. Ein lokales Maximum erhebt sich auch in der Blase. Zum Glück ist die Toilette gegenüber dem Waschbecken.
Ich hätte beim Kriechen die Augen offen lassen sollen. Die Geschwindigkeit erlaubt keine intensive Kollision, dennoch sind Gottfrieds Knie hart. Klock, macht mein Schädelknochen. Die Spritze liegt noch auf der Waschmaschine und Gottfried sitzt immer noch auf der Toilette, eingesunken im Morphinschlaf, verrutschte Wangen, ein Spuckefaden rinnt auf seine Schulter und hat den Stoff seines Hemdes in einem dunklen Fleck durchweicht.
"Gottfried, wach auf, ich muss auf Toilette!", ich fasse ihn an den Schultern, versuche ihn zu schütteln, aber er ist ein Klotz, schläft einen erstarrten Schlaf.
Erschöpft sinke ich zusammen. Ich muss auf Toilette. Dringend. Sehr dringend.
Es gibt nur eine Lösung, steigt es aus meinem Kopfnebel auf. Gottseidank muss ich nur klein.
Der Badewannenrand ist unendlich hoch, nicht zu fassen, daß ich normalerweise aus dem Stand hineinsteigen kann. Ich krieche bis direkt vor die Wanne und lege das Kinn auf den Rand. Erschöpft überlege ich, wie hineinzukommen ist, die Beine werde es nicht leisten können. Aber die Arme können. Können sich an die Armaturen klammern und ziehen, ziehen, bis der Bauchnabel jenseits der Randes liegt. Mit einem Ruck dreht mich die Schwerkraft mich auf den Rücken. Ein schmerzhafter Aufprall, mein Rücken wird morgen blau sein wie der Wannenboden. Ich bestehe nur noch aus Rücken, keine Arme, keine Beine, Rücken, Wannenboden, Schwerkraft und ich. Und die Blase. Keine Chance. Einfach laufen lassen. Hoffentlich läuft der Abfluss gut. Mir wird warm um die Beine.
Gottfried ist wachgeworden vom Aufprall, sieht mich liegen, hört den Strahl und sagt in morphiumsanfter Langsamkeit:"Keine Sorge .. Urin ist steril."
Na dann.

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