Montag, 25. Juni 2007
Tasse leer
"Gibts hier mal noch nen Kaffee, oder was?"
Gottfried scheint heute wieder mit dem falschen Fuß aufgestanden zu sein. Um genau zu sein, ist er heute noch gar nicht aufgestanden. Er hat sich, wenn ich mich recht entsinne, gegen viertel vor elf in eine bequemere Position gewälzt.
"Mach Dir selbst einen, ich habe nachzudenken."
"Jaja, ist klar, grübel ruhig noch was vor Dich hin, das macht die Welt sicher besser."
"Es macht die Welt besser, weil die Welt in meinem Kopf entsteht."
"Dann könnte Dein Kopf mal Kaffee entstehen lassen. Mit Milch und zwei Löffel Zucker bitte." Er grinst.
Dann beginnt er aber die Bodendielen ins Visier zu nehmen und ich weiss, er gibt mir recht. Unser beider Welt will schon lange nicht mehr so richtig. Was da in den Köpfen entsteht, krümmt und mäandert, wo es gerade sein sollte, fliesst weich, wo wir rechte Winkel vermuten, löst sich ab, wie Blätter im Herbststurm, wo wir ein konsistentes Ganzes vermuten.
Gottfried zieht eine Zigarettenschachtel unter seiner Decke hervor, nimmt sich eine Zigarette und streicht mit geschlossenen Augen darüber, um sich zu versichern, dass sie gerade ist. Zigaretten sollten gerade sein in der Länge, rund in der Breite. Ich stelle mir vor, wie die X-Achse mitten durch die Länge der Zigarette hindurch verläuft, genau im Mittelpunkt der Rundung. Die kreisförmige Projektion von Punkten der X-Achse auf Y- und Z-Achse zur Erzeugung der dreidimensionalen Form übersteigt allerdings meine mathematischen Darstellungsfähigkeiten.
"Ja, Himmel!" Die Zigarette ist nicht gerade. Das liegt höchstwahrscheinlich daran, dass Gottfried bis um Viertel vor elf auf der Packung lag. Aber immerhin - die Kausalität würde dann wenigstens einmal stimmen.
Ich sehe in die Packung, Tabakbrösel rieseln in die Ecken, zerdrückte, aufgeplatzte Zigarettenstengel, um die sich hilflos schützend die zerquetschte eingedellte Hülle aus Papier und Plastik schmiegt. Ein Massaker wie sie nur der Hintern eines dicken Mannes anrichten kann.
Und auf diese Kausalität mache ich dann doch noch einen Kaffee. Für Gottfried ohne Zucker.

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