Sonntag, 18. Mai 2008
Ich find mich scheisse..
und eigentlich darf mir das jeder nach tun. Aber nur Gottfried oder Dr. House ohne Angabe von Gründen. Und vielleicht irgendwann nicht mal mehr die.
In der Zwischenzeit gehen Gottfried und ich einen Boxsack kaufen.
Gottfried steckt sich direkt vor der Ladentür eine Zigarette an. "Wir müssen draußen bleiben!", sagt er, deutet auf die Kippe und zuckt die Achseln. Es ist schon etwas zu warm für seinen dunklen Trench, zumindest wenn man darunter noch ein Unterhemd, Hemd und Jackett trägt. Das mit dem Unterhemd weiss ich, weil man es durch das weiße Hemd durchsieht, wenn er das Jackett nicht trägt. Es ist ein Feinripp-Trägerhemd, ein Kleidungsstück, das sich zu behaupten weiß. Ich bevorzuge es, mir vorzustellen, dass Gottfried unterhalb des Kragens keinen Körper hat. Zumindest keinen, der zu mehr als zum Tragen von Kleidung dient.
Es gibt Dinge, die sind vor allem im Verbund nützlich. Rauchen ist im Verbund mit einem zu warm gekleideten Gottfried nützlich. Denn der Rauch hat eine ganz prominente Eigenschaft: er verdeckt Schweißgeruch.
Und schon bin ich im Laden und allein mit einem Verkäufer. Der fragt gar nicht nach Aggression. Er ist vielmehr verwundert über die Tatsache, dass ein Kunde ihn mit einem klar formulierten Interesse konfrontiert. Verwirrt führt er mich zur Ware, sicher um Zeit zu gewinnen. Was für ein gewitztes Manöver.
Da sind sie ja: Boxsäcke.
Zwei Dinge, die nicht gut zusammengehen sind eine abgehängte Stuckdecke und ein Boxsack, der über Eigröße hinausgeht. Deswegen wird im Keller geboxt. Während ich den Verkäufer mit diesen freundlichen Details unterhalte und er sich bemühen muss, mich nicht merken zu lassen, wie sehr ihn das langweilt - ein doppelter Erfolg also! - zeigt er mir Modelle in unterschiedlichen Größen. Für meine Statur vielleicht ein kleineres Modell, das befriedigt mehr? Ich sehe ihn wortlos an. Wir sprechen immer noch von Boxsäcken, ja?
Er erklärt mir, dass der Trainingseffekt natürlich bei großem Widerstand alias schwerem Sack größer sei. Der bewegt sich aber kaum. Sozusagen der Packesel unter den Säcken. Zur Aggressionsentladung empfiehlt sich eher ein kleineres Modell, das auch die ungeübte Faust leicht ins Schwingen bringt. Eine deutliche Visualisierung der eigenen Kraft. Und ein Gegner, der sich nicht nur großsackartig am Arsch lecken lässt, sondern der zurückschlägt. Wenn auch nur über die physikalische und nicht die soziale Pendelwirkung.
Nein, beantwortet der Verkäufer meine zwingend folgende Frage, Säcke mit Blaues-Auge-Effekt gäbe es noch nicht. Was ebenfalls fehlt, ist ein Plastikfenster zum Einschieben von originalgroßen Photos. Naja, Tesafilm ist ein recht guter Partner, wenn man viel davon verwendet. Und das Photo darf danach gern Gebrauchsspuren aufweisen. Blaue Augen kann ich selbst aufmalen. Gleich nebenan ist ja ein Schreibwarenladen. Dann hätten wir das ja auch.

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Sonntag, 11. Mai 2008
Et Orbi
Oft vergeht viel Kalender und viele Flaschen werden leer. Aber es vergeht keine Zeit. Mein Vater sagte:"Zeit ist Veränderung." Ich habe ihn so verstanden, dass, wenn sich nichts verändert, auch keine Zeit vergeht. Unserem Verständnis nach. In Bezug auf die relevanten Größen ist also keine bis wenig Zeit vergangen. So könnte man es sagen.

Wir laufen nach Hause. Wir sind unter Menschen gewesen, mit einem Bier und wenig Essen und das Bier hält jetzt die Zügel. Der Gehsteig ist schmal und die Sonne schon untergegangen.
Und plötzlich sehe ich es. Wie das Dach, ganz schmal nur, sich über den Horizont schiebt. Weiter und weiter, uns entgegen, immer größer und mehr sichtbar wird. Uns und den Horizon in Licht aus seinen Lampen taucht. Es schreit mich an: Die Welt ist rund! Von der anderen Seite, schwerkraftgehalten, überschreitet es den Horizont in unser Blickfeld. Großartig! Und sie dreht sich doch! Sogar ohne Martini.

Für manche ist es eine Hügelkuppe, für andere der Horizont. Hauptsache, die Zeit vergeht.

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Freitag, 1. Februar 2008
Keine Sorge
Wir sitzen ja oft im Katzenzimmer.
Manchmal, wenn ich sehr betrunken bin, kommt der Moment, da der Alkohol die Emotionsknospen erblühen lässt. Das ist eine Art körperintrinsischer Herbstzeitlose, die von so weit unten kommt, dass man geneigt ist zu glauben, dass es sich um eine Wahrheit handelt. Aber bei weitem nicht alles, was sich zunächst verborgen hält, ist wahr. Hamburgergurken gehören zum Wesen des Hamburgers, sind aber dennoch nicht mehr oder weniger wahr als die sich der Außenwelt präsentierenden Brötchenhälften. Sie liegen nur sichtgeschützt darunter.
So gesehen ist das, was der Martini aus mir hochspült, entweder physischer Natur, nämlich Mageninhalt oder sein emotionales Äquivalent - Halbverdautes in Alkohol getränkt.
Gottfried sagt, er wundert sich, dass ich noch gerade gehen kann, aber ich stehe in solchen Fällen emotionaler Überschwemmung mit solcher Entschlossenheit und so zielstrebig auf, dass er denken könnte, ich wolle laufen gehen. Will ich natürlich nicht. Ich will laufen lassen.
Ich will anrufen. Oder eine Email schreiben. Einen Link schicken. Oder eine sms. Den Kopf lieber tagtäglich freundschaftlich an die Wand rammen, bevor ich getrennt lasse, was zusammen gehört. Lieber mit der Hälfte leben, als ganz ohne.
Gottfried kommt dann langsam in mein Zimmer herüber, wo ich vor dem hochfahrenden Rechner sitze, Worte auf den Fingerspitzen, vor Wahrheitsglaube rotgeränderten Augen. Er legt mir die Hand auf die Schulter und deutet auf seine Stirn. Wir schweigen, ich denke an Gottfrieds Worte für seine Mutter:
"Ich trage dich wie eine Wunde
auf meiner Stirn, die sich nicht schließt.
Sie schmerzt nicht immer. Und es fließt
das Herz sich nicht draus tot.
Nur manchmal plötzlich bin ich blind und spüre
Blut im Munde."
Dann hat er das Telefon in der Hand, "die Anna-Helen hat da so einen netten Bekannten, ich rufe die mal an", sagt er, mir wird schlecht, der Stuhl schiebt sich unter mir nach hinten weg. Ich sitze auf dem Boden unter dem Schreibtisch an den Rechner gekauert. Gottfried hat fertig telefoniert, legt auf und bückt sich zu mir herunter. "Keine Sorge, wegen dem Herzen,", sagt er, "in Alkohol konserviert hält das doch ewig."

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